Gedanken zum Wirtschaftswachstum, Zwischenbemerkungen:
Kapitalistische Planwirtschaft




Wenn es "Wachstum gegeben" hat, soll man es zufrieden einstreichen, aber wenn "nur" das Vorjahresergebnis auf hohem Niveau wiederholt (oder auch mal nicht ganz erreicht) wurde, ist das auch kein Grund zu übertriebenem Jammern - auch wenn für die Wirtschaftsverbände Jammern zum Geschäft gehört wie Klappern zum Handwerk.

Wie gesagt: Die Marktwirtschaft soll Angebot und Nachfrage so zusammenbringen, dass sich das für beide Seiten rechnet. Wenn die Versuche eines Unternehmens, den Absatz eines Produktes zu steigern, vom Markt abgelehnt werden, ist das etwas ganz Alltägliches und keiner wird deswegen behaupten, die Wirtschaft funktioniere nicht. Konsequent marktwirtschaftlich gedacht, muss das aber auch im Hinblick auf die Gesamtmenge aller Produkte und Dienstleistungen gelten. Die Marktwirtschaft soll uns nicht nur vor Angebotsmangel bewahren, sondern auch vor einem Zuviel.

Das will natürlich keiner hören. Aber wann das Maß voll ist, und sei es nur vorübergehend, sollten wir nicht den kleinen Nimmersatt in uns entscheiden lassen, sondern das Sozialsystem Wirtschaft.

Dieses ist neben Politik unbestritten eines der wichtigsten Subsysteme von Gesellschaft. Manche scheinen allerdings zu glauben, die Politik sei nur noch der Juniorpartner der Konzerne und Wirtschaftsverbände und habe im Wesentlichen nur die Aufgabe, die ganze Gesellschaft auf Wachstum einzuschwören.

Ein anderes bedeutendes Subsystem ist übrigens Wissenschaft, und im Zentrum von Wissenschaft steht Wahrheit. Das gilt auch für die Wirtschaftswissenschaften. Es muss dort also zuallererst um Wahrheit gehen und nicht nur um Wachstum und ein großes Wachstumsbrimborium.

Wer auf Biegen und Brechen auf kontinuierlichen, gesamtwirtschaftlichen Zuwächsen insistiert und diese von vornherein als feste Größe einplanen will, betreibt im Grunde so etwas wie Planwirtschaft - Planwirtschaft kapitalistischer Art, d. h. nach Art des real existierenden (Spät-)Kapitalismus - eine (Verzeihung) besonders dämliche Form von Planwirtschaft, völlig losgelöst vom konkreten Bedarf an bestimmten Gütern und Dienstleistungen, reduziert auf ein abstraktes Mehr, mehr von irgendwas, ganz egal was, einfach soundsoviel Komma soundsoviel Prozent mehr von irgendwelchem Krimskrams (Verzeihung) - gemessen in Geldeinheiten, in was denn auch sonst.

Und was dabei herauskommt, erleben wir immer wieder, wenn die führenden Wirtschaftsinstitute verlauten lassen: "Wir korrigieren unsere Prognose" [denn die ging leider in die Hose], wenn auch dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (den fünf Weisen aus dem Abendlande, die sich nicht vom Stern von Bethlehem leiten lassen, sondern vom "magischen Viereck" aus dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft) kein Glück beschieden ist - und wenn am Ende ein von Haushaltslöchern geplagter, ratloser Finanzminister seine Hände in Unschuld wäscht mit der Begründung, dass es das Wachstum, das alle vorausgesagt hätten, nicht gegeben habe. - Unsere kapitalistische Planwirtschaft hat wieder einmal ihr Plansoll nicht erfüllt!


Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht und mach dann noch 'nen zweiten Plan,
gehn tun sie beide nicht [Bertolt Brecht, Dreigroschenoper].


In frühen, turbulenten Entwicklungsphasen einer Volkswirtschaft, wo noch an allen Ecken und Enden Mangel herrscht (und das gilt ja auch heute noch für den größten Teil der Welt), mag es durchaus sinnvoll sein, gesamtwirtschaftliches Wachstum zu einem zentralen Fortschrittsindikator zu machen und als gesamtgesellschaftlichen Ansporn zu propagieren. In fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit einem hohen Versorgungsniveau der Bevölkerung und zunehmenden Sättigungseffekten wird das jedoch zunehmend fragwürdiger.

Hier kann es vielmehr gute Gründe geben, warum das Wachstum (das mittlerweile tiefe Spuren auf unserem Planeten und in seiner Atmosphäre hinterlassen hat) zumindest mal eine Pause einlegen sollte: nicht nur den Treibhauseffekt oder Ressourcenprobleme (die in Verbindung mit weltpolitischen Konflikten besonders brisant werden können - Stichwort Öl), sondern auch die Gefahr von Überproduktion, vor der uns eine funktionierende Marktwirtschaft bewahren sollte, indem sie rechzeitig den Fuß vom Gas nimmt.

Es besteht dann kein Grund zu sagen, die Wirtschaft "schwächelt". Sie normalisiert sich nur - denn ewig "stärkeln" kann sie nicht.


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