Fiktives Wachstum der US-Wirtschaft im 21. Jahrhundert


Im vorigen Jahrzehnt (von Anfang 1991 bis 2000) hat das US-BIP um 38,0 % zugenommen. In der Dekade davor (1981 - 1990) waren es 37,8 %. Ähnlich hoch war die Zunahme auch im Zeitraum 1971-1980. Wenn wir einfach mal unterstellen, dass das amerikanische Bruttoinlandsprodukt in Zukunft um 38 Prozent pro Jahrzehnt wächst (das sind knapp 3,3 % pro Jahr), ergibt sich folgendes Diagramm zum amerikanischen Wirtschaftswachstum von 1970 bis 2100:


 
1970
 
1980
 
1990
 
2000
 
2010
 
2020
 
2030
 
2040
 
2050
 
2060
 
2070
 
2080
 
2090
 
2100
 
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts der USA in Dekaden
von 1970 bis 2000 (nach Angaben des Bureau of Economic Analysis vom April 2005) und
von 2010 bis 2100 (rein hypothetisch unter der Annahme von 38 % Wachstum pro Jahrzehnt)
 


Zum Diagramm noch einige Zahlen:

US-BIP 1970:   3.771,9 Milliarden chained 2000 dollars nach Angaben des BEA
US-BIP 1980:   5.161,7 Milliarden chained 2000 dollars nach Angaben des BEA
US-BIP 1990:   7.112,5 Milliarden chained 2000 dollars nach Angaben des BEA
US-BIP 2000:   9.817,0 Milliarden chained (und current) dollars nach Angaben des BEA
US-BIP 2010 (fiktiv):    13.547,5 Milliarden chained 2000 dollars
US-BIP 2020 (fiktiv):    18.695,5 Milliarden chained 2000 dollars
US-BIP 2050 (fiktiv):    49.133,1 Milliarden chained 2000 dollars
US-BIP 2100 (fiktiv):  245.906,3 Milliarden chained 2000 dollars


Die fiktiven Zahlen ab 2010 basieren wie gesagt auf der Annahme, dass das US-BIP von Jahrzehnt zu Jahrzehnt um 38 Prozent wächst (so wie in den Jahren 1991 bis 2000, vom BIP 1990 ausgehend). Dem entspricht eine jährliche Wachstumsrate von knapp 3,3 % (mit "Zinseszinseffekt").


Die Absurdität eines solchen Wachstums wird richtig deutlich, wenn man sich das bereits erreichte Niveau vergegenwärtigt, etwa in Gestalt des BIP 2000 oder des BIP 1970, der ersten Säule im obigen Diagramm.

Dort erscheint das US-BIP 1970 auf den ersten Blick wenig beeindruckend. Aber versetzen wir uns mal in diese Zeit zurück, um zu ermessen, was materiell dahinter steckte. Damals führten die USA einen umstrittenen, ungeheuer materialaufwendigen und kostspieligen Krieg in Vietnam (den sie 1975 aufgaben). Zugleich befanden sie sich in einem irrsinnigen Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion (der allerdings beide Seiten Ende 1969 an den Verhandlungstisch brachte, um "Strategic Arms Limitation Talks" = SALT aufzunehmen). Auch in der Raumfahrt lieferten sich die Rivalen ein Wettrennen. Die Amerikaner leisteten sich das äußerst aufwendige Apollo-Programm der NASA, um eine Sciencefiction-Vision Realität werden zu lassen: die Reise zum Mond.

Es war 1970, als Apollo 13 nach einer Sauerstoffexplosion an Bord nur knapp an einer Katastrophe vorbeischrammte (und die Crew nach einer Mondumrundung ohne Landung unverrichteter Dinge, aber immerhin wohlbehalten zur Erde zurückkehrte - auch eine Glanzleistung, weshalb die NASA nicht zu Unrecht von einem "successfull failure" sprach). Doch schon im Jahr davor waren mit Apollo 11 die ersten Menschen sicher auf dem Mond gelandet und hatten dem uralten Erdtrabanten das Sternenbanner aufgepflanzt. Bis Ende 1972 gelang dies den Amerikanern sechsmal, was jedoch auch ein Dritteljahrhundert später manchen Zeitgenossen noch so phantastisch erscheint, dass sie an die Apolloflüge einfach nicht glauben wollen: Mondlandungs[f]lüge?.


[Astronaut Alan Shepard (Apollo 14) mit der US-Flagge auf dem Mond]


Doch im Vergleich zum alltäglichen amerikanischen Massenkonsum waren selbst die gewaltigen Aufwendungen für das Mondprogramm eigentlich Peanuts. So etwas Ähnliches hatte wohl auch Präsident Kennedy in seiner Moon Speech an der Rice-Universität in Houston im Jahre 1962 ausdrücken wollen, als er den Amerikanern erklärte: "To be sure, all this costs us all a good deal of money. This year’s space budget is three times what it was in January 1961, and it is greater than the space budget of the previous eight years combined. That budget now stands at $5,400 million a year--a staggering sum, though somewhat less than we pay for cigarettes and cigars every year. Space expenditures will soon rise some more, from 40 cents per person per week to more than 50 cents a week for every man, woman and child in the United States ..."

Rüstung und Raumfahrt im Zeitalter des Kalten Krieges, der heiße Krieg in Vietnam und der materialistische "american way of life" - das alles steckt im US-BIP 1970, der unscheinbaren kleinen "Stummelsäule" ganz links im obigen Diagramm.


Nach 1970 ist das amerikanische Bruttoinlandsprodukt innerhalb von drei Jahrzehnten noch auf mehr als das Zweieinhalbfache angestiegen! Das US-BIP 2000 macht (nach Weltbank-Zahlen) real mehr als ein Fünftel der gesamten Weltwirtschaft aus (nominal in US-Dollar noch erheblich mehr):
US-BIP 2000: 9,8 Billionen US-Dollar = 9,6 Billionen international dollars,
Bruttoweltprodukt 2000: 31,5 Billionen US-Dollar = 44,9 Billionen international dollars.
Der rein statistische "international dollar" dient dem realen Vergleich der sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften. "An international dollar has the same purchasing power over GDP as a U.S. dollar has in the United States" (Weltbank).


Mit dem hypothetischen Wachstum im obigen Diagramm würde dieses gewaltige Wirtschaftsvolumen bis 2050 noch einmal auf das Fünffache und bis 2100 sogar auf das 25fache (des Jahres 2000) bzw. das 65fache des Jahres 1970 ansteigen. Zur Jahrhundertwende wäre schon die jährliche BIP-Zunahme in den USA doppelt so groß wie das Gesamt-BIP zur Zeit der Apollo-Mondlandungen. Und danach ginge es mit immer größeren Sprüngen weiter, astronomischen Höhen entgegen.

Hurra, 38 Prozent Wachstum pro Jahrzehnt bzw. knapp 3,3 Prozent pro Jahr machen’s möglich. Und natürlich darf’s gerne noch etwas mehr sein. Hoch lebe das Wirtschaftswachstum und hoch lebe der Kapitalismus! Nun auch in China. Denn es wird vielleicht gar nicht mehr lange dauern, bis die "Volksrepublik" mit ihren noch höheren Wachstumsraten die USA gesamtwirtschaftlich überholt.

Und auch die übrige Welt ersehnt nichts mehr als Wachstum, Wachstum, Wachstum. Nur der Planet wächst nicht und auch nicht seine Atmosphäre. Schönen Gruß vom Treibhauseffekt.


[Erde über Mondhorizont, NASA-Foto, aufgenommen während der Mission von Apollo 11, 1969]

Erde, vom Mond aus gesehen,
NASA-Foto, aufgenommen während der Mission von Apollo 11, 1969


Um die langfristigen Ergebnisse kontinuierlichen exponentiellen Wachstums zu verdeutlichen, hat jemand ausgerechnet, dass ein einziger Cent, der im Geburtsjahr Christi zu 3 % pro Jahr angelegt worden wäre, auf Grund des Zinseszinseffektes bis zum Jahr 2002 einen Betrag ergeben hätte, der 50 Billiarden Tonnen Gold entspräche (bei einem Goldpreis von 10.000 Euro pro kg). Dies entspräche wiederum einer Goldkugel von 270 km Durchmesser. "Hätten wir das Beispiel mit 5% statt 3% gerechnet, so wären wir im Jahr 2002 bereits bei 441 Milliarden Goldkugeln vom Gewicht der Erde angelangt" (so der Würzburger Mathematiker Dr. Jürgen Grahl in einem Aufsatz über Wachstumsfetischismus).


Noch einmal zurück zu den USA. Wenn wir einfach mal annehmen, das US-BIP würde im 21. Jahrhundert real nicht auf das 25fache (des BIP 2000) steigen wie im obigen Diagramm, sondern "nur" noch auf das 5fache, dann betrüge die jährliche Wachstumsrate bei konstantem Wachstum kaum mehr als 1,6 %:
(1 + 1,6/100)100 = 1,016100 = 4,9 = rund 5.

Gleichwohl wäre das Bruttoinlandsprodukt der USA dann im Jahr 2100 schon größer das gesamte Weltprodukt des Jahres 2000 (vgl. obige Angaben in international dollars). Aber ist das überhaupt noch möglich bei dem enormen Volumen, das die US-Wirtschaft und die gesamte Weltwirtschaft heute schon erreicht haben? Wenn es nicht mehr möglich ist (auch aus ökologischen Gründen), dann sind eben auch "bescheidene" 1,6 % Wachstum langfristig in den USA nicht mehr möglich, wenn man von den gleichen statistischen Berechungskriterien ausgeht wie bisher.

Eine immer noch recht beachtliche Verdreifachung des US-BIP im laufenden Jahrhundert ergäbe bei konstantem Wachstumsverlauf nur noch eine jährliche Wachstumrate von 1,1 Prozent (1,011100 = 3).

Und eine BIP-Verdoppelung - auch kein Pappenstiel - brächte, auf einen Zeitraum von hundert Jahren gerechnet, "magere" 0,7 Prozent pro Jahr (1,007100 = 2).

Verdoppelungszeiten lassen sich übrigens recht gut nach der Faustformel 70 : Wachstumsrate errechnen. Bei einem Wachstum von 0,7 % pro Jahr beträgt die Verdoppelungszeit demnach 70 dividiert durch 0,7 gleich 100 Jahre. Ein jährliches Wirtschaftswachstum von 3 % ergäbe eine BIP-Verdoppelung in gut 23 Jahren (70 : 3 = 23,3).

Bei einer Rate von 2 % pro Jahr käme es noch alle 35 Jahre zu einer Verdoppelung (70 : 2 = 35), was dann nach insgesamt 105 Jahren schon einen Anstieg auf das Achtfache ergeben würde.
Dazu die Gegenprobe: (1 + 2/100)105 = 1,02105 = 8.

Werte von über 4 Prozent wie im Jahr 2004 sollten nicht zu Illusionen verleiten. Niemand weiß, wo die absoluten Grenzen des Wachstums liegen, sei es für Amerika, Europa, China oder die übrige Welt, und wir sollten auch besser nicht versuchen, bis an diese Grenzen zu gehen, denn dies könnte das letzte große Experiment der Menschheit gewesen sein.


Zu den Grenzen des Wachstums, die zu Beginn der 70er Jahre vom Club of Rome auf Basis einer (von der Volkswagenstiftung geförderten) Studie des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) thematisiert wurden, sei abschließend noch auf einen Aufsatz von Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, hingewiesen: "Von Rom nach Wuppertal? Auf der Suche nach den ökologischen Grenzen des Wachstums" (1999).

Priewe weist darin auch auf die Probleme marktwirtschaflicher Systeme mit Nullwachstum hin, die infolge zu geringer Gewinnanreize instabil werden könnten (eigentlich das altbekannte Problem des Kapitalismus). Sein vorsichtiges Fazit: "Den Industrieländern steht im kommenden Jahrhundert eine komplizierte Gratwanderung zwischen ökologischen Risiken und ökonomischen wie sozialen Imperativen bevor, die einen neuen Typ von Wirtschaftspolitik herausfordert."



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(mit Quellenangaben).